Hallo Frau Koke, könnten Sie sich bitte in ein paar Sätzen kurz vorstellen:

Mein Name ist Catharina Koke. Ich bin Doktorandin der Evangelischen Theologie, angehende Lehrerin und ehrenamtlich als Projektleitungsassistenz der Internationalen Jugendbegegnung tätig.

Frau C. Koke (rechts)

Wo und wann haben Sie persönlich das erste Mal bewusst Demokratie erlebt?

Ich muss zugeben, dass ich Demokratie als solche sehr lange nicht bewusst wahrgenommen habe. Die Reflektion über Demokratie als Staatsform setzte bei mir mit meiner Auseinandersetzung mit dem Dritten Reich im Rahmen meines Studiums ein. Im Rückblick würde ich meine erste bewusste Begegnung mit Demokratie wahrscheinlich in meiner ersten Teilnahme an einer Demonstration verorten, als ich nach dem Reaktorunglück in Fukushima gegen Atomkraft auf die Straße gegangen bin. Seitdem habe ich oft von diesem Recht Gebrauch gemacht und bin dankbar für diese Möglichkeit.

Was motiviert Sie, sich für mehr demokratische Beteiligung einzusetzen?

Diese Frage ist für mich unbedingt mit der ersten Frage verbunden: Es gab und es gibt immer Staatsformen, in denen eine Beteiligung oder gar eine freie Meinungsäußerung nicht möglich oder sogar verboten ist. Ich bin einerseits dankbar für die Privilegien in einer Demokratie aufgewachsen zu sein und sehe andererseits immer mehr Situationen in denen diese Privilegien entweder einzelnen Personengruppen nicht uneingeschränkt zugesprochen wird (ich denke hier an Minderheiten, die sich in unserer Gesellschaft nicht gehört fühlen) oder aber ganze Gruppen diese Privilegien grundsätzlich und damit auch das System der Demokratie insgesamt in Frage stellen. Die Demokratie als Staatsform ist, wie immer wieder deutlich wird, ein fragiles System, für das es sich in meinen Augen lohnt sich einzusetzen.

Was bedeutet für Sie Demokratie? Wie definieren Sie Demokratie?

Die demokratische Staatsform bietet im Vergleich die größten Partizipationsmöglichkeiten und stellt damit aber auch hohe Anforderungen an ihre Partizipanten. Durch die Partizipation des Einzelnen, wird eine Form der "Machtkontrolle" ausgeübt, die ich als wichtig erachte. Die Demokratie ermöglicht eine hohe Pluralität von Meinungen und Einstellungen und spricht ihnen grundsätzlich die gleiche Berechtigung zu, was aber selbstverständlich auch mit hohen Herausforderungen verbunden ist. Das demokratische System bietet eine gewisse Stabilität und Entscheidungsprozesse sind transparenter als in anderen Staatsformen, was wiederum die Partizipation der Bevölkerung ermöglicht und zugleich herausfordert.
Das demokratische System ist für mich als Christin zwar nicht aus diesem herzuleiten, durch die Vorstellungen des Christentums ist die Demokratie aber in Werten wie Gerechtigkeit und Freiheit miteinander verbunden.

Warum wurde Ihre Organisation / Einrichtung gegründet? Was möchten Sie bewirken?

Die Internationale Jugendbegegnung in Dachau (IJB) findet seit 1983 jährlich in Dachau statt. Von Anfang an widmete sich die IJB der Aufarbeitung der Geschichte des Nationalsozialismus am Ort Dachau. Dabei ging es aber nicht allein um das Erinnern des Vergangenen, sondern auch immer um ein Einwirken auf die Gegenwart und die Zukunft. Das Geschehene nicht in Vergessenheit geraten zu lassen, den Erzählungen und Geschichten der Zeitzeug*innen Raum zu geben ist und war immer wesentlicher Bestandteil der Jugendbegegnung. Dazu gehört auch die Begegnung junger Menschen aus unterschiedlichsten Kulturen, die im Zeitraum dieser zwei Wochen Freundschaften über Sprachen und Grenzen hinweg schließen und so ein Gefühl der Verbundenheit sowie gegenseitiges Verständnis schaffen.

Warum ist Gedenkarbeit wichtig für unsere Demokratie?

Gedenkarbeit im Kontext des Nationalsozialismus und des Holocaust schärft die Sinne für antidemokratische Prozesse und kann und sollte zu einem Einstehen für die Demokratie führen. Mit dem Lernen aus der Vergangenheit, dem die Gedenkarbeit in einer unvergleichlichen Weise dient, ist die Möglichkeit verbunden (junge) Menschen dazu zu motivieren Ähnliches nicht wieder passieren zu lassen. Als Gesellschaft stehen wir in der Verantwortung dafür, dass sich die Geschichte nicht wiederholt und Gedenkarbeit schafft die notwendige Grundlage dazu.

Welche Gefahren sehen Sie, wenn Gedenkarbeit nicht mehr gefördert wird?

Wenn Gedenkarbeit nicht mehr gefördert wird und die damit verbundene Bildungsarbeit nicht mehr geleistet wird, kommt das Lernen über die Vergangenheit zu kurz indem sie nur auf den Raum des Schulischen begrenzt wird. Ohne die notwendige Bildung und das nötige Wissen um die Verbrechen der Vergangenheit ist unsere Gesellschaft nicht mehr auf dieselbe Weise befähigt für ihre aus diesen entstandenen Verantwortungen einzustehen.

Was ist das Wichtigste, Ihrer Einschätzung nach, was die Menschen und Regierungen beachten müssen, damit sich die Geschichte nicht wiederholt?

Bildung darf - in keinem Kontext - vernachlässigt werden, wenn Menschen in einer Demokratie an Entscheidungsprozessen beteiligt sind. Im Kontext der Gedenkarbeit ist es besonders wichtig nicht zu vergessen, dass die Vergangenheit nicht aus bloßen Fakten und Zahlen besteht - die selbstverständlich für Lernprozesse unabdingbar sind - sondern dass dahinter Biographien und echte Menschen stecken.

Was macht Ihnen Sorgen und was macht Ihnen Hoffnung, wenn Sie in die Zukunft blicken? Sind sie da eher optimistisch oder pessimistisch und warum?

Ich sehe, auch und insbesondere in der momentanen Krise ein hohes Gefahrenpotential für unsere demokratische Gesellschaft. In Krisen werden Menschen anfällig für Verschwörungsmythen und Polemiken. Angesichts der eigenen Krisen infolge derer sich viele machtlos fühlen, werden häufig Minderheitengruppen in einer Gesellschaft als "Sündenböcke" herangezogen. Diese Prozesse waren schon in der Vergangenheit immer wieder zu beobachten. Ich glaube aber - ansonsten wäre ich wahrscheinlich mit meiner Berufswahl und meinem Ehrenamt falsch -, dass die große Mehrheit unserer Bevölkerung nicht aus der lauten Minderheit besteht die nach vereinfachten Lösungen für komplexe Probleme sucht. Ich bin überzeugt, dass wir in einer grundsätzlich starken Demokratie leben und dass insbesondere immer junge Menschen bereit sind sich für diese und für eine für alle Menschen lebenswerte Zukunft einsetzen.

Wie begeistern Sie Menschen für demokratische Werte? Wie fördern Sie Partizipation?

Ich bemühe mich junge Menschen insbesondere durch mein eigenes Interesse und die Ermutigung zum kritischen Nachfragen und Nachdenken für demokratische Werte und Prozesse zu begeistern. Indem ich im Rahmen meines Engagements gleichberechtigte Teilhabe ermögliche, versuche ich auch Partizipationsprozesse zu fördern.

Wenn es ein allgemeines Demokratisches Manifest geben würde, welche drei Punkte sollten unbedingt enthalten sein und was sollte auf keinem Fall drinstehen?

Transparenz, Beteiligung und Toleranz sind die drei Werte, die ich für unabdingbar halte. Jede Formulierung die Einzelne von demokratischer Teilhabe ausschließt oder für minderwertig erklärt sollte dabei in keinem Fall enthalten sein

Zusammenfassend: Was ist Ihr Statement zur Demokratie und Partizipation?

Partizipation ist ein wesentliches und stützendes Element der Demokratie. Jedes Mitglied einer Demokratie sollte dabei die gleichen Möglichkeiten zur Teilhabe erhalten, unabhängig von Hautfarbe oder Geschlecht.