Hallo Herr Löwl, könnten Sie sich bitte in ein paar Sätzen kurz vorstellen:
Mein Name ist Stefan Löwl und ich wurde im Januar 1974 in Bietigheim-Bissingen geboren. Ich bin verheiratet, habe drei Kinder und darf seit 2014 als Landrat unseren schönen Landkreis Dachau mitgestalten.
Wo und wann haben Sie persönlich das erste Mal bewusst Demokratie erlebt?
Meine erste, tiefgreifende Erfahrung mit Demokratie habe ich gemacht, als ich mit 14 Jahren kurzzeitig erleben konnte, wie es ohne Demokratie ist.
Den Sommerurlaub 1988 verbrachte ich mit meinen Eltern bei Verwandtschaftsbesuchen in der damaligen DDR. Und auch wenn ich als Jugendlicher mit meinen gleichaltrigen Cousins eine schöne Zeit hatte, lag doch über allem der Schatten der Diktatur; von der strengen Grenzkontrolle bei der Einreise, über das Auftreten der Polizei bis hin zu den Honeckerportraits am Eingang zu jedem Jugendclub und der ständigen Umsicht, wer gerade mithört. Damals habe ich den Wert und die Bedeutung der "sorgenlosen Freiheit" kennen und schätzen gelernt.
Was motiviert Sie, sich für mehr demokratische Beteiligung einzusetzen?
Demokratie ist für mich die Staatsform, welche dem Menschen als einzigartigem Individuum am nächsten kommt, da Grundlage jeder Demokratie die Achtung der Menschenrechte und die Gewährung von Bürgerrechten ist. Das Prinzip der Gewaltenteilung ist nur in einer Demokratie wirklich existent und nur durch das Suchen nach (breiten) Mehrheiten werden möglichst viele Menschen mitgenommen bzw. muss ein (friedlicher) Ausgleich zwischen divergierenden Interessen gesucht werden. Gleichzeitig garantiert nur die Demokratie auch Minderheiten Schutz und Rechte, teilweise sogar ihren Gegnern. Sie muss die Menschen also immer wieder "von sich" überzeugen.
Was bedeutet für Sie Demokratie? Wie definieren Sie Demokratie?
Die Demokratie besteht für mich aus den Elementen der Gewaltenteilung, des Rechtsstaatsprinzips, der Grundrechte sowie der freien und gleichen Wahlen und dem damit verbundenen Prinzip der "Macht auf Zeit".
Welche Rolle spielen die Kommunen und die kommunale Politik Ihrer Einschätzung nach?
Die Kommunen bilden die örtlichen Gemeinschaften unseres Staatswesens. Vor Ort können und sollen grundlegende Dinge dieser örtlichen Gemeinschaft im Sinne einer "Bürgergesellschaft" selbst geregelt werden. Auf der kommunalen Ebene wird noch sichtbar, dass "Staat und Behörden" nicht irgendwelche abstrakte, namen- und seelenlose Gebilde sind, sondern am Ende wir alle selbst. Dies zeigt sich in der kommunalen Verwaltung, wo vielleicht der Nachbar als Sachbearbeiter arbeitet, ebenso, wie in den kommunalen Gremien, welche nicht aus "Berufspolitikern" bestehen, sondern aus engagierten Mitbürgerinnen und Mitbürgern. Insoweit sind die Kommunen die Basis unseres Staates und unserer Demokratie.
Was sind Ihre zentralen Aufgaben als Landrat? Welche demokratische Verantwortung ist mit Ihrem Amt verbunden?
Als Landrat muss man sich um viele Dinge kümmern und Alltagsprobleme lösen, gerade hier im Ballungsraum München: Mobilität und Verkehr, Wohnraum, moderne Verwaltung, Bildung und Schulen, Ehrenamt, Katastrophenschutz, Gesundheit und Pflege, Digitalisierung, Strukturwandel, Natur- und Umwelt, Gedenk- und Erinnerungsarbeit sowie Demokratie und Europa sind nur einige Oberbegriffe. Hinzu kommen neue Aufgaben und Herausforderungen wie Integration und Inklusion, Klimaschutz oder auch der in der Verwaltung immer deutlicher spürbare Fachkräftemangel.
Wichtig ist, die Herausforderungen rechtzeitig zu erkennen und wirksame Konzepte zu erarbeiten und dann gemeinsam mit allen relevanten Akteuren umzusetzen, also Mehrheiten zu finden. Dabei steht man als Landrat - gerade hier in Bayern, wo man durch die Direktwahl die höchste demokratische Legitimation besitzt - tagtäglich an der Schnittstelle zwischen abstrakten (gesetzlichen) Regelungen und der konkreten lokalen Umsetzung im Einzelfall. Hier gilt es, die in Frage 3 genannten demokratischen Pfeiler tatsächlich zu leben.
Wie erreichen Sie aktuell die Bürger:innen und wie können sie in Zukunft alle Bürger:innen erreichen? Wie beziehen Sie die Bürger:innen abseits der Wahlen in Entscheidungen mit ein?
Die politische Kommunikation ist eine äußerst schwierige Herausforderung, welche gerade in den vergangenen Jahren mit der Digitalisierung und Medienvielfalt nochmals deutlich komplizierter wurde. Zum einen gibt es passive Informationsmöglichkeiten, wie beispielsweise InterNet und Facebook oder auch Interviews, Presseerklärungen und Anzeigen oder unseren "Kreis.Blick!". Daneben suche ich aber auch immer wieder den Kontakt und aktiven Austausch mit den Bürgerinnen und Bürgern. Hierzu zählen Angebote wie "Frag den Landrat" (oder jetzt Pandemiezeiten "Zoom den Landrat") oder meine Bürgerdialogveranstaltungen und auch bei Facebook suche ich immer wieder die direkte Kommunikation. Problematisch ist dabei die Reichweite bzw. Erreichbarkeit der Menschen. Ich glaube, dass eine elementare Grundlage der Demokratie hier in Zukunft noch viel wichtiger wird. Das eigenverantwortliche "Sich-mit-Einbringen". Informationen, Kontaktmöglichkeiten und Beteiligungsformate gibt es zahlreich, aber die Menschen müssen diese auch aktiv annehmen und nutzen, idealerweise konstruktiv mitgestalten und letztendlich somit "Demokratie leben"!
Wo sind die Herausforderungen der Partizipation? Gibt es auch Grenzen der Partizipation und wo liegen diese?
Neben den Herausforderungen, alle Menschen zu erreichen und zu beteiligen (siehe Frage 6) liegt die größte Herausforderung von Partizipation in der Komplexität unserer heutigen Welt. Was für den Laien einfach gelöst werden muss, ist in der realen Umsetzung mit all unseren Standards, Zuständigkeiten und Verfahren leider meist doch nicht "einfach". Hier kommt es schnell zu Frust und Resignation; am Ende vielleicht sogar zu Zweifeln an unserer Demokratie. Daher muss man immer ganz klar prüfen, bei welchen Themen oder Fragen eine Partizipation sinnvoll ist, oder wo vielleicht sogar demokratische Verfahren und Verantwortlichkeiten dadurch ausgehöhlt werden. Die Grenzen der Partizipation liegen somit - neben der Zuständigkeit - in den demokratischen Grundpfeilern, also dem Repräsentationsprinzip, im Rechtsstaatsprinzip und natürlich bei den Grundrechten.
Wann setzen Sie auf Beteiligung, wann entscheiden Sie lieber allein?
Das ist eine komplizierte Frage: Entscheiden muss man immer alleine und dafür auch die Verantwortung tragen. Ich treffe aber kaum eine Entscheidung wirklich alleine, da zahlreiche Fachleute und Experten mich beraten bzw. meine Entscheidungen vorbereiten. Beteiligung sehe ich insoweit als Teil der Entscheidungsfindung, egal ob bei mir oder bei Entscheidungen von (zuständigen) Gremien. Durch Beteiligung sollen Belange gehört, mit- und gegeneinander abgewogen werden um am Ende das beste Ergebnis zu erzielen. Eine Beteiligung ist aus meiner Sicht aber keine Übertragung von (Entscheidungs-)Zuständigkeit und Verantwortung. Dies wäre vielmehr undemokratisch, da Beteiligungsformate meist nicht vollumfänglich demokratisch legitimiert sind (Stichwort: Betroffenheitsbeteiligung).
Wie begeistern Sie Menschen für demokratische Werte? Wie fördern Sie Partizipation?
Durch die Freude am Mitgestalten und den Blick in andere, undemokratische Regionen der Welt. Der sektorale Blick in un- oder weniger demokratische Länder weckt manchmal Begehrlichkeiten, beispielsweise wenn es um die Reaktions- und Umsetzungzeiten ("In China wäre ...") geht. Demokratie ist aber ein "Gesamtkonzept" und manche "Errungenschaften" in anderen Systemen eben nur durch undemokratische Strukturen und Verfahren möglich sind. Die Partizipation erreicht man durch die Einbindung von Menschen vor Ort (z.B. Jugendkreistag, Bürgerdialoge), aber nicht erst, wenn eine konkrete "Selbstbetroffenheit" besteht, sondern aus Verantwortungsbewusstsein für unseren Landkreis und seine Mitbürgerinnen und Mitbürger.
Wenn es ein allgemeines Demokratisches Manifest geben würde, welche drei Punkte sollten unbedingt enthalten sein und was sollte auf keinem Fall drinstehen?
- Freiheit bedeutet auch Verantwortung!
- Diskussionen sind gewaltfrei (auch verbale Gewalt), offen und ehrlich (keine Fakenews) und mit Respekt vor dem Gegenüber sowie Anderen zu führen.
- Man muss über alles sprechen können.
Eine "moralische Überhöhung" oder "einseitige Definition" fände ich nicht angebracht. Ein Wesenselement der Demokratie ist, dass sie für sich selbst werben, sich selbst legitimieren und ggf. auch wandeln muss, aber auch die Vielfalt.
Zusammenfassend: Was ist Ihr Statement zur Demokratie und Partizipation?
Demokratie und Partizipation bietet die Möglichkeit, Dinge zu ändern und unser aller Leben (mit) zu gestalten; hierzu bedarf es Engagement, Interesse, Leidenschaft, aber auch Geduld und Kompromissbereitschaft.