Hallo Herr Batteiger können Sie sich und den Kreisjugendring Dachau kurz vorstellen:
Mein Name ist Stephan Batteiger und ich bin unter anderem ehrenamtlicher Vorsitzender des Kreisjugendrings Dachau. Im Landkreis kümmert sich der KJR beispielsweise um die Gemeindejugendarbeit, die Jugendsozialarbeit an Schulen, organisiert Ferienfreizeiten und Weiterbildungsangebote. Zudem sind wir die Projekt- und Koordinierungsstelle von “Demokratie Leben” im Landkreis Dachau und der Initiator des deutschlandweit einzigartigen Modellprojektes “Demokratische Schule”. Wir sind weit vernetzt mit allen Akteuren im Dachauer Landkreis, die sich dem Thema Kinder und Jugend widmen. Wir machen uns für die Belange von Kindern und Jugendlichen stark, denn unsere Kinder sollen in einer Umgebung aufwachsen, in der sie sich wohlfühlen und voll entfalten können.
Wo und wann haben Sie persönlich Partizipation gelernt?
Bereits in meiner frühen Jugend habe ich mich ehrenamtlich engagiert. Angefangen hat alles mit der Organisation von kleineren Veranstaltungen. Mit der Zeit haben sich immer mehr Freundeskreise zusammengeschlossen und sind zusammengewachsen. Daraus ist ein immer größerer Kreis entstanden, der regelmäßig das Riding Higher Benefiz Festival in Odelzhausen organisiert hat. Es war für mich immer sehr bereichernd, mit vielen Freund:innen zusammenzuarbeiten und Jugendkultur zu schaffen. In dieser Zeit habe ich unheimlich viel über das Zusammenarbeiten im Team, über Motivation und Beteiligung gelernt. Rückblickend kann ich sagen, dass mich diese Erfahrungen persönlich sehr geprägt haben und die Grundlage für meine weitere ehrenamtliche und hauptamtliche Tätigkeit waren.
Was motiviert Sie, sich für mehr demokratische Beteiligung einzusetzen?
Mich hat schon immer fasziniert, mitzubekommen, was meine Mitmenschen motiviert, wie sie ihre Visionen realisieren und darüber hinaus altruistisch einen Beitrag für unsere Gesellschaft leisten. Für diese Grundvoraussetzung gibt es viele Faktoren. Ein wichtiger Faktor ist, die Möglichkeiten zu haben, sich einzubringen und Dinge mitzugestalten.
Ich hatte das Glück, schon viel sehen zu können und vor allem selbst viele Dinge ausprobieren zu dürfen. Meine Arbeit als Solo-Selbstständiger als auch im Konzern, die Gründung eines Unternehmens mit Freunden und meine tausenden Stunden ehrenamtlicher Arbeit haben mich sehr geprägt. Ich kann für meinen Teil sagen, dass es immer am besten zu mir passte und die besten Ergebnisse erzielt wurden, wenn wir auf Beteiligung gesetzt und alle einbezogen haben. Wer dies versteht, der kann auf einen vielfältigen Schatz an Meinungen und Erfahrungen zurückgreifen, viel von seinen Mitmenschen lernen und jeden Tag besser werden.
Über die Jahre kam ich für mich zu dem Schluss, dass es zwei gute Formen des Zusammenlebens gibt: die Demokratie und die Liebe. Diesen Schatz möchte ich bewahren, Menschen dafür begeistern und an die nächsten Generationen weitergeben.
Was bedeutet für Sie Demokratie? Wie definieren Sie Demokratie?
Für mich bedeutet Demokratie, dass es vielfältige Meinungen und Ansichten gibt und dass alle Beteiligten versuchen, einen guten Konsens herzustellen.
Ich finde es sehr wichtig, dass man hierbei unterschiedliche Meinungsträger in Entscheidungen miteinbezieht und dass auch die unterschiedlichen Meinungen und Ängste respektiert werden - solange sich diese nicht gegen die Würde des Einzelnen oder einer Gruppe richten. Niemand ist allwissend und deshalb macht es Sinn, gemeinsam Entscheidungsgrundlagen auszuarbeiten und zu beschließen. Gemeinsam entwickelt man bessere Lösungen, die von allen Seiten angenommen werden können. Nur so können wir ein glückliches und zufriedenes Zusammenleben in unserer Gesellschaft garantieren.
Wenn man schnelle und klare demokratische Entscheidungen treffen möchte, sind eindeutige Rahmenbedingungen sehr wichtig. Es muss geklärt sein, wer wann wo mitentscheiden kann, darf, soll oder muss. Nicht jede:r möchte und muss in allen kleinen Entscheidungen miteinbezogen werden und es ist vollkommen in Ordnung, die Verantwortung auch mal abzugeben. Diese Struktur kann für unsere Gesellschaft, jede Organisation, jedes Projekt und jede Menschengruppe unterschiedlich aussehen.
Warum gibt es Ihren Jugendring? Mit welchem Ziel wurde dieser gegründet?
Nach dem zweiten Weltkrieg, als die Kriegsgeschehnisse aufgearbeitet wurden, analysierte man, warum im Dritten Reich so viel Macht auf die Jugend ausgeübt werden konnte. Vor allem durch die “Hitlerjugend” konnte schon früh Einfluss auf die Jugendlichen genommen werden und sie wurden stark durch deren Propaganda beeinflusst.
Mit den heutigen Jugendringen versuchen wir, ein gegenteiliges Konzept zu schaffen. Wir wollen alle Jugendlichen erreichen und ihnen eine Stimme geben. Die meisten Jugendlichen sind bereits Mitglied einer Jugendorganisation in ihrem Landkreis. Bei uns sind das die Bayerische Jungbauernschaft, die Bayerische Sportjugend, der BDKJ, die Deutsche Beamtenbundjugend, die DPSG, die DITIB Jugend, die Evangelische Jugend, die Fischerjugend, die Gewerkschaftsjugend, die Jugendorganisation des Bund Naturschutz, das Jugendrotkreuz, die Jugendtheatergruppe der Muckerlbühne, die Naturschutzjugend, die THW-Jugend und die Trachtenjugend. Diese wählen jeweils in ihrer Jugendorganisation einen Vorstand und können ihre Delegierten auf die Vollversammlung des KJR Dachau entsenden, den KJR-Vorstand wählen und dessen zukünftige Ausrichtung und Aktionen festlegen. Der ehrenamtliche Vorstand des KJR und die hauptamtlichen Mitarbeiter:innen haben die Aufgabe, sich für die Belange der Kinder und Jugendlichen stark zu machen. Wir haben auch die Aufgabe, wichtige Werte zu vermitteln, wie beispielsweise Demokratie und die Vielfalt der Gesellschaft.
Wir möchten dadurch erreichen, dass die Geschehnisse während des zweiten Weltkrieges nicht wiederholt werden, sondern, dass alle Kinder und Jugendlichen selbstbestimmt in Frieden aufwachsen und sich voll entfalten können.
Welche demokratische Verantwortung trägt Ihr Jugendring? Was sind ihre Ziele?
Wie bereits erwähnt, ist es unser Ziel, uns für die Belange der Kinder und Jugendlichen im Landkreis Dachau einzusetzen.
Unsere abstrakten Ziele sind in der gemeinsamen Satzung aller bayerischen Jugendringe niedergeschrieben. Dazu zählt beispielsweise der Erhalt der natürlichen Lebensgrundlage, der Einsatz gegen Rassismus, Ausländerfeindlichkeit und Nationalismus, der Abbau geschlechtsspezifischer Benachteiligungen aber auch die Stärkung des Ehrenamtes und einer freiheitlichen und demokratischen Gesellschaft.
Darüber hinaus versuchen wir, die aktuellen Wünsche und Bedürfnisse der Kinder und Jugendlichen im Landkreis umzusetzen. Welche das sind, legen wir bei unserer Vollversammlung zusammen mit den Delegierten der Jugendorganisationen gemeinsam fest. In den letzten Jahren haben wir dadurch die Gemeindejugendarbeit und die Jugendsozialarbeit an Schulen weiter ausgebaut, viele Weiterbildungen angeboten, unser Materiallager erweitert, das Förderprojekt “wir.fördern.ökologie” gestartet, das Modellprojekt “Demokratische Schule” ins Leben gerufen und während der Pandemie digitale Lernscouts errichtet, um nur ein paar zu nennen.
Auch wählen wir auf unserer Vollversammlung jedes Jahr einen Jahresschwerpunkt, auf den wir dann besonderen Wert legen. Das reichte in den letzten Jahren von Vielfalt leben, Nachhaltigkeit, Jugendbeteiligung, Digitalisierung bis hin zur Flüchtlingskrise.
Wie erreichen Sie möglichst alle Kinder und Jugendliche?
Als ich damals Vorsitzender des Kreisjugendrings wurde, hat mich diese Frage sehr beschäftigt. Wie kann ich meinem persönlich Anspruch gerecht werden, wirklich alle Kinder und Jugendliche im Landkreis Dachau zu verstehen und mich für ihre Belange einzusetzen, wenn ich nicht alle persönlich kenne? Es schien gar unmöglich. Wir haben darauf Antworten gefunden:
Einerseits beschäftigen wir uns mit jugendpolitischen Themen und stellen uns die Frage: was ist für die Jugendlichen interessant? Dabei blicken wir über die Landkreisgrenze hinaus, lesen Studien, gehen auf Fortbildungen und sind mit anderen Jugendringen im Austausch.
Im Landkreis Dachau sind wir mit unseren Jugendorganisationen regelmäßig im Gespräch. Wir achten darauf, dass unser Vorstand paritätisch und mit Mitgliedern aus unterschiedlichen Jugendorganisationen aufgebaut ist.
Wir fördern Partizipation über die Jugendräte und den Jugendkreistag. Und wir stehen durch die Gemeindejugendarbeit, die Jugendsozialarbeit an Schulen und die Ferienfreizeiten im engen Kontakt zu den Kindern und Jugendlichen vor Ort.
Durch Social Media gibt es neue Möglichkeiten, Kinder und Jugendliche über unsere Angebote zu Informieren, aber vor allem auch Feedback und Wünsche einzuholen.
Aber auch in enger Zusammenarbeit mit den Akteuren im Landkreis entwickelt sich ein stimmiges Bild darüber, was wir den Jugendlichen bieten sollten.
Was ist wichtig, damit sich viele Jugendliche für unsere Gesellschaft, Vielfalt und Demokratie engagieren?
Das wichtigste ist, den Kindern und Jugendlichen schon früh bewusst zu machen, was Demokratie überhaupt bedeutet. Gleichzeitig ist es unerlässlich, ihren Lebensort demokratisch zu gestalten.
Wir müssen einen Ort schaffen, an denen sie sich verstanden und wohl fühlen. Einen Ort, an den Unterschiede keine Schwächen sind, sondern eine Stärke. Wenn ein:e Jugendliche:r unzufrieden mit ihrer oder seiner Situation ist, dann muss er oder sie die Möglichkeit haben, Wünsche offen zu äußern und im Idealfall diese Wünsche selbst umzusetzen. Dazu braucht es Schnittstellen in alle Bereiche des Lebens hinein. Ein wichtiger Wirkungsort für die Kinder und Jugendlichen ist ihre Gemeinde und Schule. Bei allem was sie tun, ist hierbei das wichtigste, dass sie in der frühen Jugend schon Erfolgserlebnisse haben. Es muss erlebbar sein, dass sie etwas bewegen können. Das motiviert und macht Lust, sich immer wieder von neuem zu engagieren - für sich selbst und seine Mitmenschen.
Wie könnte Ihre Arbeit hinsichtlich der Förderung von Demokratie, Partizipation und Vielfalt in fünf Jahren aussehen?
Mit unseren bisherigen Aktionen haben wir schon einiges erreicht, gleichzeitig gehen uns die Ideen niemals aus.
Unser aktuelles Modellprojekt “Demokratische Schule” ist ein ganz besonderes Projekt für uns und unseren Landkreis, und wenn alles gut geht, für viele in ganz Deutschland. Wir befinden uns noch mitten in der Ausarbeitung und sind sehr gespannt zu erfahren, wie es sich für die Kinder und Jugendlichen anfühlt, in einer demokratischen Schule zu lernen.
Es gibt noch viele weitere Bereiche, die von demokratischen Strukturen profitieren. Mit dem Projekt "Democratic World" möchten wir aufzeigen, wo bereits schon Demokratie - im kleinen sowohl im großen Rahmen - gelebt wird und wie die Umsetzung aussehen kann. Im besten Fall können wir den einen oder die andere begeistern, mehr Demokratie zu wagen. Wir sind sehr gespannt, die anderen Interviews zu lesen und daraus zu lernen.
Darüber hinaus wird uns die Digitalisierung noch viele Möglichkeiten bieten, Demokratie zu ermöglichen und mehr Menschen miteinzubeziehen. Mittlerweile ist es möglich, unsere Vollversammlungen remote stattfinden zu lassen, dass hat den positiven Effekt, dass mehr Menschen daran teilnehmen können. Es kommen immer mehr technische Tools auf den Markt, so dass wichtige Informationen aufbereitet, bereitgestellt und Entscheidungen schneller getroffen werden können.
Die Zukunft wird noch einiges bieten. Wir freuen uns drauf.
Wenn es ein allgemeines Demokratisches Manifest geben würde, welche drei Punkte sollten unbedingt enthalten sein?
Es ist sehr wichtig, dass wir Demokratie aktiv fördern. Demokratie muss gelernt und gelebt werden. Demokratische Strukturen müssen zudem regelmäßig überdacht werden und es müssen alle Menschen miteinbezogen werden. Wir müssen denen, die keine Stimme haben, eine Stimme geben. Wir sollten keine Angst vor Meinungsverschiedenheiten haben, sondern uns freuen, von den unterschiedlichen Sichtweisen zu lernen. Denn Vielfalt macht das Leben bunter und unseren Alltag schöner.
Zusammenfassend: was ist Ihr Statement zur Demokratie und Partizipation?
Es gibt zwei schöne Formen des Zusammenlebens: die Demokratie und die Liebe.
Ich liebe die Demokratie.