Hallo Frau Anderl, könnten Sie sich bitte in ein paar Sätzen kurz vorstellen:

Mein Name ist Annemarie Anderl und ich bin seit über 30 Jahren Richterin, 20 Jahre davon am Amtsgericht Dachau. Ich wohne in einer Gemeinde im Landkreis.

Wo und wann haben Sie persönlich das erste Mal bewusst Demokratie erlebt?

Ich erinnere mich  an die erste Wahl, an der ich teilnehmen konnte, die Europawahl 1979. Das war  die erste Wahl, bei der Abgeordnete direkt für das europäische Parlament gewählt worden sind.

Was motiviert Sie, sich für mehr demokratische Beteiligung einzusetzen?

Es geht schließlich um die grundlegende Frage, wie wir unsere Zukunft und die unserer Kinder gestalten und in welchen politischen und gesellschaftlichen Verhältnissen wir leben wollen.

Was bedeutet für Sie Demokratie? Wie definieren Sie Demokratie?

Die klassische Lehrbuchdefinition lautet: Die Staatsgewalt geht vom Volk aus. Das heißt im praktischen Leben, die Bürger und Bürgerinnen wählen in freien, gleichen und geheimen Wahlen ihre Abgeordneten, die im Parlament über die Gesetzgebung bestimmen.
Dazu kommen die direkten Beteiligungsmöglichkeiten über Volksbegehren und Volksentscheide in Bayern und Bürgerbegehren und Bürgerentscheide in den Städten und Gemeinden.
Weiter gilt, dass bei allem staatlichen Handeln die Grundrechte des Einzelnen zu wahren sind und durch Pressefreiheit und Versammlungs- und Demonstrationsrecht ein vielfältiger, freier Meinungsbildungsprozess möglich ist.

Was sind Ihre zentralen Aufgaben? Was sind die wichtigsten Aufgaben Ihrer politischen Institution?

Das Amtsgericht hat verschiedene Aufgaben im Rahmen der Rechtsprechung und freiwilligen Gerichtsbarkeit. So werden in den Zivilverfahren Rechtsstreitigkeiten zwischen Bürgern untereinander entschieden, z. B. aus Mietverhältnissen, nach Verkehrsunfällen oder wegen Forderungen aus Kaufverträgen. Im Strafverfahren entscheidet der Richter darüber, ob dem Angeklagten  die  zur Last gelegte Straftat nachgewiesen werden kann und welche Strafe schuldangemessen ist. Am Familiengericht geht es um Scheidungen und damit zusammenhängende Fragen, auch die Kinder betreffend. Das Betreuungsgericht wird tätig, wenn jemand aufgrund einer Erkrankung seine Angelegenheiten nicht mehr selbst regeln kann und einen rechtlichen Betreuer benötigt. Für Erbschaftsangelegenheiten ist das Nachlassgericht zuständig, für Grundstücksübertragungen das Grundbuchamt.

Was ist Ihr Ziel? Was bewirkt Ihre Arbeit? Welchen Beitrag leisten Sie für die Demokratie?

Als Richterin an einem Gericht der ersten Instanz versuche ich meinen Beitrag dazu zu leisten, dass die Rechtssuchenden in den an mich herangetragenen Streitigkeiten und Verfahren zu ihrem Recht kommen, ein fairer Interessensausgleich geschaffen wird und so ein friedliches und gerechtes Zusammenleben möglich ist.

Welche demokratische Verantwortung ist mit Ihrem Amt verbunden?

Als Richter und Richterin hat man die Aufgabe, im Einzelfall unter Anwendung der materiellen Gesetze und der Verfahrensordnung zu entscheiden und so den Rechtssuchenden  zu ihrem Recht zu verhelfen und Rechtsfrieden herzustellen.
Die Rechtsprechung (Judikative) ist die Dritte Gewalt  und neben der Gesetzgebung durch die Parlamente (Legislative) und der Verwaltung (Exekutive), ein wichtiger Teil der demokratischen Staatsordnung.

Wie wird in Ihrer politischen Institution Demokratie intern gelebt? Wie ist Ihre politische Institution demokratisch organisiert?

Jeder  Richter ist bei seinen Entscheidungen unabhängig und nur an Recht und Gesetz gebunden. Das heißt, dass ihm  bei seiner Entscheidung   keinerlei Weisungen, etwa von Vorgesetzten oder anderen Institutionen  erteilt werden können.

Wie begeistern Sie Menschen für demokratische Werte? Wie fördern Sie Partizipation?

Wir haben regelmäßig (außer jetzt in der Pandemie-Situation) Schulklassen als Zuhörer bei öffentlichen Verhandlungen oder einzelne Richter erteilen in Schulen Rechtskundeunterricht.
Auf diese Weise wollen wir die Bedeutung der Rechtsprechung, die  ein wichtiger Bestandteil des demokratischen Zusammenlebens ist, den jungen Menschen erklären und vermitteln.

Um Vertrauen und Transparenz zu schaffen, sind die Gerichtsverhandlungen öffentlich und für Besucher zugänglich (außer in Familiensachen und Jugendstrafverfahren, in denen die Persönlichkeitsrechte der Beteiligten vorrangig sind).

Wenn es ein allgemeines Demokratisches Manifest geben würde, welche drei Punkte sollten unbedingt enthalten sein und was sollte auf keinem Fall drinstehen?

Hier verweise ich zunächst  auf unser  Grundgesetz und die Bayerische Verfassung;

Der Demokratieprozess bei uns funktioniert-  wenn auch manchmal etwas langsam - und Mitmachen des Einzelnen lohnt sich. Dies zeigt sich etwa in der Klimafrage, in der die Protestbewegung der vor allem jungen Menschen zum Klimaschutzgesetz beigetragen hat und nun gerade das Bundesverfassungsgericht den Gesetzgeber aufgefordert hat, weitere Maßnahmen anzuordnen um die Freiheitsrechte der Menschen auch in Zukunft zu wahren.

Zusammenfassend: Was ist Ihr Statement zur Demokratie und Partizipation?

Wir alle sind aufgefordert, uns umfassend zu  informieren,  nicht auf  Populismus und Hetze hereinzufallen,  offen und fair miteinander zu  diskutieren und  aktiv von unseren Mitwirkungsrechten Gebrauch zu machen.