Hallo Frau Stanglmayr, könnten Sie sich bitte in ein paar Sätzen kurz vorstellen:

Mein Name ist Annerose Stanglmayr und meine Arbeit in der Erwachsenenbildung im Dachauer Forum hat mein Demokratiebewusstsein geprägt, in der KZ-Gedenkstätte Dachau, als Teil der Zivilgesellschaft und im Familienbereich im alltäglichen Vollzug.

Wo und wann haben Sie persönlich das erste Mal bewusst Demokratie erlebt?

Bei meinem Deutsch- und Geschichtslehrer Mailänder habe ich in der 6. Klasse das erste Mal das Wort "Demokratie" gehört. Es war ihm eine Herzensangelegenheit von Demokratie und Gewaltenteilung zu sprechen, er hat es wöchentlich wiederholt. Das ist bei mir hängen geblieben. Ansonsten habe ich das Glück in einer guten Familie aufgewachsen zu sein, in der ich alltäglich Demokratie erleben und üben konnte. Natürlich: in der Schule wurde ich Klassensprecherin.

Was motiviert Sie, sich für mehr demokratische Beteiligung einzusetzen?

Die Konfrontation mit der KZ-Gedenkstätte Dachau wirkte bei mir wie ein Stachel, der mich anspornt über die NS-Zeit, Demokratiebildung und Themenpolitik nachzudenken. Gut dass mir Max Mannheimer geholfen hat, Schuld und Scham einzuordnen: "Ihr seid nicht schuld daran, was damals geschah, aber ihr seid verantwortlich dafür, dass so etwas nie wieder geschieht."

Was bedeutet für Sie Demokratie? Wie definieren Sie Demokratie?

Hier halte ich mich an den deutschen Politikwissenschaftler und Politikdidaktiker Gerhard Gerhard Himmelmann: Demokratie als Herrschafts-, Gesellschafts- und Lebensform.

Als Herrschaftsform beruht Demokratie auf der Anerkennung der Menschen- und Bürgerrechte, auf Volkssouveränität und Rechtsstaat, auf Kontrolle der Macht und auf Gewaltenteilung, auf Repräsentation und Parlamentarismus, Parteienwettbewerb, Mehrheitsprinzip und Minderheitenschutz

Demokratie als Gesellschaftsform, die auch gesellschaftliches Lernen umfasst im gesellschaftlichen Pluralismus (Verbände, Vereine, Initiativen), in einer autonomen gesellschaftlichen Konfliktregelung (Tarifrecht, betriebliche Mitbestimmung), in der Marktwirtschaft (Sozialpolitik und Ökologie), in den freien Medien und in einem breiten öffentlichen Engagement der Bürger in Form einer Zivilgesellschaft.

Demokratie als Lebensform und soziale Idee, die alltagsspezifische Demokratie, die besondere Form des sozialen Zusammenlebens der Menschen in einer Demokratie.

Wann und warum wurde Ihre Organisation gegründet?

1969 wurde das Dachauer Forum als erstes Bildungswerk in der KEB München gegründet.
Dabei ging es um den Dialog der Kirche mit der Welt. Heute heißt es bei uns „Hier ist Begegnung“. Das Dachauer Forum schafft Bildungsangebote, die den Mensch in den Mittelpunkt stellen. Von der Familienbildung bis hin zum Seniorenstudium, begleiten wir Menschen auf ihrem Weg durchs Leben. Wir agieren im Netzwerk und verstehen uns als lernende Organisation. So gelingt es uns auf gesellschaftliche Herausforderungen flexibel zu reagieren.

Welches Ziel verfolgt Ihre Organisation und warum ist dies wichtig für unsere Demokratie?

Wir orientieren uns in unserer Arbeit am christlichen Gottes- und Menschenbild. Wir treten ein für ein offenes Zusammenwirken in Pfarrei und Kommune. Wir fördern Engagement und wir stärken das partnerschaftliche Miteinander selbstbestimmter und verantwortungsbewusster Persönlichkeiten.
In acht Themenbereichen bieten wir Bildungsangebote zum Lebenslangen Lernen an:

  • Gesellschaft und Geschichte:
    Teilnehmende werden befähigt sich in der Informationsgesellschaft der Gegenwart und der digitalen Welt zu orientieren und Identität zu finden. Zivilgesellschaftliches Engagement braucht mündige und gut informierte Bürgerinnen und Bürger.
  • Migration und Integration:
    Teilnehmende leben Vielfalt in einem kultursensiblen Miteinander und werden befähigt zur gesellschaftlichen Teilhabe.
  • Umwelt und Natur
    Teilnehmende beteiligen sich an der notwendigen Transformation unserer Gesellschaft.
  • Religion, Sinn und Orientierung
    Mit philosophischen, ökumenischen und interreligiösen Themen weiten Teilnehmende den Blick für die Suche nach Sinn, die alle Menschen verbindet.
  • Familie und Partnerschaft
    Gerade in Familie und Partnerschaft üben Teilnehmende eine wertschätzende Kommunikation.
  • Gesundheit und Gedächtnis
    Die teilnehmenden Senior*innen werden zur gesellschaftlichen Teilhabe motiviert.
  • Kunst und Kultur
    Hier erfahren Teilnehmende mehr über Zusammenhänge und bekommen Antworten auf die Fragen nach kulturellen Identitäten.

Welche Aktionen und Veranstaltungen organisieren Sie für die Erfüllung Ihrer Ziele? Wie begeistern Sie Menschen für demokratische Werte?

Auch hier sortiert nach den Themenbereichen:
Gesellschaft und Geschichte:

  • Führungen in der KZ-Gedenkstätte, dazu Seminare und digitale Angebote
  • Gedächtnisbuch für die Häftlinge im KZ Dachau
  • Geschichtswerkstatt im Landkreis Dachau
    Migration und Integration:
  • Kulturdolmetscher - sharing empowerment
  • Leben in Bayern, Schulung für Migrant*innen
    Umwelt und Natur:
  • Lange Woche der Artenvielfalt
  • Klimafreundlich leben
    Religion, Sinn und Orientierung:
  • Interreligiöser Dialog
  • Philosophische Streifzüge
    Familie und Partnerschaft:
  • Mit Baby aktiv
  • Eltern-Kind-Programm
  • Familie aktiv
    Gesundheit und Gedächtnis:
  • Senioren aktiv
  • Seniorenbegleiter mit dem Schwerpunkt Demenz
    Kunst und Kultur:
  • Seniorenstudium

Wie wird bei Ihnen intern Partizipation gelebt? Wie ist Ihre Organisation demokratisch strukturiert?

Wir sind ein gemeinnütziger Verein. Ehrenamtlichkeit und Selbstorganisation sind in unserer Satzung festgeschrieben. Unsere Mitglieder wählen in demokratischen Wahlen den ehrenamtlichen Vorstand und den Hauptausschuss. Hand in Hand mit dem Team unserer Geschäftsstelle, den Fachreferent*innen und den Bildungsbeauftragten vor Ort gestalten wir ein vielfältiges Bildungsprogramm für den Landkreis.

Wo sehen Sie Grenzen und Herausforderungen der Partizipation?

Die Arbeit im Ehrenamt muss nach unseren Erfahrungen hauptamtlich begleitet werden. Ich mache mir Sorgen um die Finanzierung des Hauptamtes.

Wenn es ein allgemeines Demokratisches Manifest geben würde, welche drei Punkte sollten unbedingt enthalten sein und was sollte auf keinem Fall drinstehen?

  • Die KZ-Gedenkstätte Dachau verpflichtet uns im Landkreis Dachau zur Demokratiebildung.
  • Gesellschaftliches Lernen in der Demokratie braucht eine starke Zivilgesellschaft.
  • Wertschätzende Kommunikation lernt man in der Familie.

Zusammenfassend: Was ist Ihr Statement zur Demokratie und Partizipation?

Demokratie leben wir durch wertschätzende Kommunikation im Alltag, durch Mitgestaltung in der Zivilgesellschaft und durch Beteiligung an Politischen Prozessen.