Hallo Frau Burghardt, könnten Sie sich bitte in ein paar Sätzen kurz vorstellen:

Ich bin beim Caritas-Zentrum Dachau als Asylsozialberaterin und Mitarbeiterin beim Projekt SamBa tätig. Seit knapp zwanzig Jahren lebe ich in Deutschland. Ich bin in Griechenland geboren und aufgewachsen.

Frau D. Burghardt im SamBa-Büro im Caritas-Zentrum Dachau

Wo und wann haben Sie persönlich das erste Mal bewusst Demokratie erlebt?

In der Grundschule, bei den Wahlen für den/die Klassesprecher/-in. Zum ersten Mal habe ich bewusst erlebt, dass meiner Meinung eine Stimme gegeben wurde - und das galt natürlich nicht nur für mich, sondern auch für meine Mitschüler/-innen. Diese Erfahrung hat bei mir einen starken Eindruck hinterlassen. Ich habe mich wichtig und verantwortlich gefühlt!

Was motiviert Sie, sich für mehr demokratische Beteiligung einzusetzen?

Die feste Überzeugung, dass Demokratie die beste Regierungsform ist. Und das Wissen, dass sie nur dann funktionieren kann, wenn sich möglichst viele Menschen daran beteiligen (dürfen). Nur so kann die Vielfalt an Ansichten, Interessen, Bedürfnissen, Forderungen und Anliegen abgebildet werden. Und nur so können letztendlich Entscheidungen im Interesse des Gemeinwohls getroffen werden.

Was bedeutet für Sie Demokratie? Wie definieren Sie Demokratie?

Demokratie heißt Partizipation. Demokratie heißt politische Teilhabe. Sie bildet die Voraussetzung für ein menschenwürdiges Leben. Demokratie heißt auch, Verantwortung für meine Entscheidungen zu übernehmen.

Warum gibt es Ihre Organisation? Was sind Ihre Ziele? Was bewirkt Ihre Arbeit? Welchen Beitrag leisten Sie für die Demokratie?

Unsere Organisation heißt Caritas, das Wort steht für Liebe bzw. Nächstenliebe. Ihre Wurzeln hat sie in der Liebe Jesu zu den Menschen. Gegründet wurde sie, um Menschen in Not zu helfen. Die Caritas sieht ihre Aufgabe darin, den Menschen ohne Ansehen von Herkunft, Status oder Religion mit Liebe und Achtung zu begegnen. Wir begleiten, beraten und unterstützen benachteiligte Menschen, stehen für ihre Anliegen und Bedürfnisse ein und werden dadurch zu Mitgestalter der Sozial- und Gesellschaftspolitik.

Welche Aktionen und Veranstaltungen organisieren Sie für die Erfüllung Ihrer Ziele?

In den letzten drei Jahren hat das Projekt SamBa Aktionen und Veranstaltungen  angeboten, welche die gesellschaftliche und politische Teilhabe von geflüchteten Menschen fördern, z. B. Argumentationstraining gegen Rassismus, Demokratie auf Arabisch, Mieterqualifizierung, Kunstausstellung zum Thema Menschenrechte.
In dieser schwierigen Zeit der Corona-Pandemie, wo Rücksichtnahme und Achtsamkeit durch Abstandhalten und soziale Distanzierung gezeigt werden, und der persönliche zwischenmenschliche Kontakt so weit wie möglich reduziert werden soll, versuchen wir zu verhindern, dass Menschen mit Fluchterfahrung in den Asylunterkünften abgeschottet werden. Vielmehr möchten wir ihnen eine Stimme geben und sie ins gesellschaftliche Leben mit einschließen. In unserem aktuellen Projekt, dem Storytelling in Video-Format, erzählen drei geflüchtete Menschen ihre wahren Geschichten. Die Erzählungen sollen einen Einblick in das Leben der Geflüchteten geben und aufzeigen, welche Auswirkungen politische Entscheidungen auf die Menschen haben.

Wie wird in Ihrer Wohltätigkeitsorganisation Demokratie intern gelebt? Wie ist Ihre Organisation demokratisch strukturiert?

Bei der Caritas arbeiten Menschen aus verschiedenen Kulturkreisen, mit und ohne Migrationshintergrund, mit und ohne Fluchterfahrung, mit unterschiedlichen Konfessionen und Lebensweisen. Das sorgt für Vielfalt im Team, wie bei der Gesellschaft.
Es wird erwartet, dass es einen Austausch von Meinungen und Argumenten gibt und dass Entscheidungen, wo möglich, gemeinschaftlich getroffen werden. Des Weiteren ist die MAV, die Interessenvertretung der Beschäftigten, eine Institution, die die demokratische Struktur der Caritas unterstützt.

Was sind die Herausforderungen mit Beteiligung / Partizipation? Wo sind die Grenzen von Beteiligung / Partizipation?

Damit es in einer Gesellschaft mehr Partizipation gibt, müssen die Bürger/-innen davon überzeugt sein, dass sie etwas bewirken können, wenn sie sich an der Politik beteiligen; dass ihre Ängste und Sorgen ernst genommen werden und dass ihre Meinung gehört wird.
Gerade bei geflüchteten Menschen ohne Aufenthaltserlaubnis ist die Angst öfter groß, dass sie Nachteile erfahren könnten, wenn sie ihre Meinung zur politischen Situation äußern würden. Deswegen ziehen manche vor, ein zurückgezogenes politisches Leben zu führen, um nicht negativ aufzufallen. Diese Angst hat ihre Wurzeln meiner Ansicht nach oft in den Erlebnissen in ihren Heimatländern, aus denen sie geflohen sind. Viele Geflüchtete assoziieren nämlich die politische Beteiligung mit der Gefahr, verfolgt zu werden und auch die Familienangehörigen in Gefahr zu bringen.

Wie begeistern Sie Menschen für demokratische Werte? Wie fördern Sie Partizipation?

Menschen, die Unterdrückung und Verfolgung erlebt haben, braucht man nicht für demokratische Werte zu begeistern - sie wissen sie sehr zu schätzen. "Demokratie heißt Leben", hat uns ein geflüchteter Mann in der Beratung neulich gesagt. Mit den oben angeführten Projekten und Aktionen (Punkt 5) fördern wir konkret die Partizipation von geflüchteten Menschen in den Asylunterkünften im Landkreis Dachau.

Wenn es ein allgemeines Demokratisches Manifest geben würde, welche drei Punkte sollten unbedingt enthalten sein und was sollte auf keinem Fall drinstehen?

Demokratie nährt sich aus Partizipation. Je mehr Menschen von möglichst vielen unterschiedlichen Milieus sich politisch beteiligen (ausgenommen extremistische Kräfte, die dei Demokratie selbst bekämpfen), desto demokratischer kann ein Staat regiert werden.
Dazu gehört auch eine öffentliche Debattenkultur. Von Diskursen und Auseinandersetzungen kann die Demokratie nur profitieren.
Dritte Säule ist die Transparenz: Auch wenn Missstände aufgedeckt werden sollten, führt dies nicht zur Verunsicherung der Bürger/-innen, sondern zur Vergewisserung, dass die Institutionen funktionieren. Die Transparenz gilt dann als ein Mechanismus, der die Interessen der Bürger/-innen und somit der Demokratie schützt.
In einer Demokratie gibt es keinen Platz für Unterdrückung von Menschenrechten.

Zusammenfassend: Was ist Ihr Statement zur Demokratie und Partizipation?

Die Demokratie nährt sich aus Diskursen, aus Meinung, aus Partizipation. Sie braucht uns alle. Und wir brauchen sie, um möglichst frei leben zu dürfen.